PORTRÄT UND INTERVIEW

acme, London/Berlin

Foto: Ed RS Aves

Im Gespräch mit...Friedrich Ludewig, Tim Laubinger und Heidrun Schuhmann

  • Text: Therese Mausbach
  • Fotos: Ed RS Aves

Im Londoner Sitz von acme sprach die Bauwelt Anfang April mit dem Geschäftsführer Friedrich Ludewig und den Partnern Heidrun Schuhmann und Tim Laubinger, die den Neubau der Sächsischen Aufbaubank betreuten.

Was ist die Aufgabe der Sächsischen Aufbaubank (SAB)?

Friedrich Ludewig Die Sächsische Aufbaubank unterstützt den Freistaat Sachsen in der Förderung von Wirtschaft, Wohnungsbau, Städtebau, Infrastruktur, Landwirtschaft, Umwelt und Arbeitsmarkt. Auf Förderungen spezialisiert, hat die SAB nicht den üblichen Kundenverkehr einer Bank und beschäftigt Spezialisten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen. Einige prüfen Traktorförderanträge, andere widmen sich der Physik und bewilligen Anträge zu Partikelbeschleunigern. Das weit gefächerte Expertenwissen und die Förderung innovativer Entwicklungen ist das Spannende an Förderbanken.

Welche Ideen bestimmten den Neubau der SAB?

Heidrun Schuhmann Die SAB wollte in ihrer öffentlichen Funktion nicht demonstrativ, sondern bescheiden auftreten. Es gibt keinen Schriftzug über der Tür. Durch die Größe des Grundstücks ergab sich die Möglichkeit, der Öffentlichkeit ein Angebot zu machen und über den freien Zugang zum Forum den Charakter der Sächsischen Aufbaubank als öffentliche Einrichtung zum Ausdruck zu bringen.

FL Die Identität der SAB wird nicht repräsentiert in der Form ihres Gebäudes, sondern in der Form des offenen Stadtraums, der durch das Gebäude entsteht. Das L-förmige Gebäude umfasst eine 60 x 60 Meter große Freifläche, von Säulen gefasst. Säulen finden sich fast immer in den traditionellen Fassaden von Bankgebäuden, in Europa, in Amerika, auch in Australien. Die Säulen des antiken Tempels scheinen sich zum architektonischen Inbegriff der Stabilität entwickelt zu haben, einem sicheren Ort der Geldverwahrung In Leipzig wird diese Idee der Säule aufgegriffen, aber auf ihre ursprüngliche Bedeutung zurückgeführt, die des Tempels als einem öffentlichen Ort.

HS Die Säulen erzeugen vielfältige Assoziationen. Sie könnten der Rahmung möglicher kultureller Bespielungen des Ortes dienen, sie erinnern an einen urbanen Wald, und in ihrer Verschiebung der gewohnten Maßstäbe ähneln sie den Erlebnissen von Alice im Wunderland. In der Wettbewerbsabgabe sind im Forum die Skulptur eines zwölf Meter hohen Terriers von Jeff Koons und Alexander Calders Flamingo platziert. Die Kunstwerke illustrieren die Entstehung eines Forums, eines Ortes der Möglichkeiten, der im großen wie im kleinen Rahmen bespielt werden kann. Die zwei Gebäudeflügel bilden einen rechten Winkel, dazwischen gibt es – anstelle einer Sackgasse – eine Durchwegung vom Hauptbahnhof in Richtung Leipziger Zoo. Der Haupteingang der SAB, das Auditorium sowie das Restaurant und Café sind zum Forum orientiert. So entstehen unterschiedliche Bewegungen, vom zielstrebigen Hindurchschreiten bis zum spielerischen Verweilen.

Tim Laubinger Im Forum selbst sind in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsplaner Günther Vogt weitere Elemente entstanden, die den Raum gliedern und differenzieren, einen Spiegelsee, der den Himmel auf den Boden holt, ein Auditorium, sowie die Bepflanzung, die zusammen einen sehr skulpturalen Platz aus Stützenwald, Kratern und Hügeln formen.

Wir hätten gern mit dem Bestand gearbeitet, mit dem Robotron-Gebäude oder zumindest mit den alten Fundamenten.

Wie viele Stützen konnten schlussendlich realisiert werden?

HS Es gibt 215 außenliegende Stützen. Das erste Konzeptmodell zeigte viele nadeldünne Stützen, die drei Lichtungen im Forum definierten. Der jetzt gebaute Raum hat eine große Lichtung mit weniger Stützen, aber einer sehr viel größeren Variation der Stützendurchmesser. Einige Stützen tragen mehr Windlasten, einige sind Teil der Entrauchungsanlage, je nach Aufgabe der Stütze ändert sich ihre Dimension.

Wie haben sich die Stützen entwickelt?

HS Der Stützenwald durchlief zahlreiche Entwurfsstadien. Unterschiedliche Materialien für die Stützen und ihre Überdachungen wurden mit der Bauherrin, den Herstellern und den Fachplanerinnen und -planern untersucht und abgestimmt, die Anordnung der Säulen wurde in Modellen bis hin zu Versuchsaufbauten im Maßstab 1:1 entwickelt. Gemeinsam mit Transsolar wurde die Säulendichte und -stellung in Bezug auf die Verschattung der Büros optimiert. Die Entrauchung der Tiefgarage erfolgt über die Stützen. Um die geforderten Qualitäten der Säulen zu erreichen, wurden spezialisierte Herstellerfirmen stark in den Entwurfsprozess eingebunden. Schließlich entschieden wir uns für die Ausführung mit Fertigteilen aus hochfestem Schleuderbeton. Diese Methode lässt sehr schlanke Stützendurchmesser zu und zeichnet sich durch eine sehr homogene und hochwertige Oberflächenqualität aus. Aufgrund der Ausführung der Stützenköpfe aus Textilmembran konnte die Montage größtenteils vor Ort erfolgen. Nicht nur von außen setzt der Bau neue Akzente für Leipzig, auch im Inneren hebt sich die Bank von ihrer alten Verwaltung in Dresden ab.

FL Unsere Arbeit ist immer eine Balance zwischen der Bauherrenschaft, dem Designteam, dem verfügbaren Budget und unserer stadtplanerischen Verantwortung. Was in einem Land normal ist, ist im nächsten Land radikal. Es gab, wie immer, völlig unterschiedliche Wahrnehmungen. Wir arbeiteten an Büroprojekten in London und in Australien und dort gibt es schon lange keine Zellenbüros mehr. In Deutschland trafen wir auf eine Bauherrin, die an ihre sechshundert Zellenbüros sehr gewöhnt war. Für die SAB bedeutete die Schaffung offener Büroräume eine intensive Auseinandersetzung mit Themen aktueller und zukünftiger Arbeitswelten, um eine für die Sächsische Aufbaubank langfristig passende Lösung zu schaffen. Aus den Konversationen mit Bauherrin und Mitarbeitern sind spannende neue Räume für die SAB entstanden.

HS Wir entschieden uns dafür, alle Räume für Austausch und Kommunikation zum Forum hin zu orientieren. In den oberen Stockwerken sind offene Arbeitsräume auf der Innenseite platziert, mit den verbliebenen Zellenbüros zur Straße. Auch das Erdgeschoss ist so offen und zugänglich wie möglich. Die Kantine ist so konfiguriert, dass sie abends als öffentliche Brasserie funktionieren kann. Das Auditorium ist von der Straße aus einsichtig und so entworfen, dass es auch von anderen Organisationen als alleinstehender Veranstaltungsort genutzt werden kann. Im Foyer des Auditoriums findet man drei Wandreliefs der DDR-Künstler Arno Rink, Frank Ruddigkeit und Klaus Schwabe, die im Robotron-Vorgängerbau in den oberen in den oberen Etagen der Treppenhäuser angebracht waren, und jetzt zum ersten Mal für die Öffentlichkeit zugänglich sind.

Wieso sind 170 Autostellplätze entstanden, wo der Bau nur einen Steinwurf entfernt vom Hauptbahnhof liegt?

HS Es sind auch 110 Fahrradstellplätze entstanden. Aber ja, gerade bei der Tiefgarage merkt man, wie viele Jahre doch in der Zwischenzeit vergangen sind. Den Sinn würden heute alle Beteiligten an dem Projekt hinterfragen. Eine Vollunterkellerung zu schaffen, war wegen des hohen Grundwasserspiegels sehr komplex.

FL Wir hätten gern mehr mit dem Bestand gearbeitet, mit dem Robotron-Gebäude oder zumindest mit den alten Fundamenten. Aufgrund des hohen Grundwasserspiegels und der Unmöglichkeit, die Tragkraft des alten Fundaments zu garantieren, wurde dies verworfen. Die Bodenverseuchung des Wassers aus der Umgebung machte es unmöglich, das Wasser abzupumpen. Stattdessen wurde unter hohem Auf-wand eine Baugrube als Spezialbauwerk mit 30 Meter tiefen Spund- und Dichtwänden erstellt, um das Wasser abzusenken und das Robotron Untergeschoss mitsamt der Bodenplatte zu entfernen. Hinsichtlich der Tiefgaragenstellplätze ist der Vergleich zu London interessant. Dort verbietet das Planungsrecht seit Jahren die Schaffung von Autostellplätzen in der Innenstadt. In Deutschland ist es noch immer schwierig, die verordnete Stellplatzanzahl zu unterschreiten. In Leipzig haben wir in Abstimmung mit der SAB weniger Parkplätze geschaffen. Es wäre schön, wenn dies in Deutschland in Zukunft keiner Verhandlung mehr bedürfte.

Die offenen Büroflächen im dritten Obergeschoss sowie die Gruppenarbeitsräume wenden sich dem neu entstandenen Stadtplatz zu.

TL Die Bedeutung der Verkehrsmittel wandelt sich. Inzwischen muss man in innerstädtischer Lage wie z.B. in Berlin auch eine Ablöse für fehlende Fahrradstellplätze zahlen.

FL Es ist spannend zu sehen, wie sehr sich der Charakter der Arbeitswelten innerhalb der letzten Jahre geändert hat. In unseren Projekten in Großbritannien oder Australien bestehen Büros fast nur noch aus sozialen Räumen, Orten der Begegnung, Dachgärten, Cafés und Platz für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrern, in London werden riesige Raumkomplexe des Duschens und Umziehens gebaut.

Zaubern ist CO2-neutral

Im Schaufenster eines alten backsteinernen Warenhauses in London Shoreditch steht ein roter Schinkenschneider. Hinter dem edlen Gerät erstreckt sich eine lange, goldgefärbte Küchenzeile. Weder ein deli noch ein butcher wird hier in der Tabernacle Street betrieben, stattdessen das Architekturbüro acme: „A Company Making Everything“.

Das Akronym, ist dem Geschäftsführer und gebürtigem Niedersachsen Friedrich Ludewig nach zu urteilen genauso vielfältig wie das eher einem Kuriositätenkabinett ähnelnde Interieur seines Büros. acme soll ein Unternehmen repräsentieren und keine bestimmte Person, das war Ludewig bei der Gründung 2007 wichtig. acme heiße auf Griechisch „Höhepunkt“, bemerkt er, und spiele gleichzeitig auf den scheiternden Koyoten in Walt Disneys Road Runner Filmen an. Der mehrdeutige Büroname und die an Raumexperimenten reichen Etagen des Büros lassen auf eines schließen: acme will viel. Dementsprechend erfüllt das Büro ein umfangreiches Leistungsspektrum vom Innendesign bis zur Masterplanung.

Von Beginn an shareholder-geführt, erhalten die Angestellten als Anteilseigner Gewinnbeteiligungen an den Ausschüttungen. Je größer der Schinken, desto dicker die Scheibe des Einzelnen. Achtzig Teammitglieder arbeiten in London, acht in der in der mittlerweile eröffneten Zweigestelle in Berlin. Aufträge akquirierte das internationale Unternehmen bereits weltweit, darunter Einkaufszentren im omanischen Muscat, im libanesischen Beirut und im australischen Melbourne. Mitten in Swansea stiftet acmes durch eine kürzlich fertiggestellte Arena gebildeter Stadtraum, ein stahlummanteltes Gebäude für 3.500 Besucherinnen und Besucher mit angeschlossener Parkanlage und Fußgängerbrücke, neue Identität, neues Aufsehen für die weniger bekannte zweitgrößte City von Wales.

Berliner Büro

Nicht nur in Swansea, auch in Berlin ist durch das Architekturbüro im letzten Jahr eine Brücke für Fuß- und Fahrradverkehr, der zur Europa-City führende Golda-Meir-Steg, fertiggestellt worden. Sie ist eine der Folgeaufträge nach dem gewonnenen Wettbewerb der SAB. „Wir haben an verschiedenen Standorten auf der Welt Büros aufgemacht und sie dann nach Fertigstellung der Projekte wieder geschlossen. Am Standort Berlin setzt sich die Arbeit im Anschluss an die SAB durch neu gewonnene Wettbewerbe fort.“, so Ludewig, der in den Neunzigern wie auch einige andere seiner deutschen Kolleginnen und -kollegen nach London kam, um dem leergefegten Arbeitsmarkt in der Heimat zu entfliehen. Auf die Frage nach spürbaren Einflüssen des Brexits begegnet das Büro gelassen. Bis auf die geringfügig höheren Bankgebühren hätte sich kaum etwas geändert.

Stattdessen bringen sie aus London den Geist des Gleis Neundreiviertels mit. Tim Laubinger schwärmt von ihrem Büro in der Friedrichstraße unweit des Neubaus der taz, wo sie Räumlichkeiten in der alten Zauberzentrale von Conrad Horster, der Hofzauberer von Wilhelm dem II. bezogen haben. Neben der SAB und der Radfahrbrücke ist dort ein Supermarktprototyp für Rewe entwickelt worden. Aktuell wird ein Katalog ausgearbeitet, nach dessen Vorgaben Rewe in ganz Deutschland nachhaltige Märkte errichten wird.

Zero Carbon

acme will auch zero carbon. Die Auseinandersetzung mit dem betriebseigenen CO2-Fußabdruck führte zu dem Ergebnis, dass der Schnitt maßgeblich von den guten Nahverkehrsanbindungen zum Arbeitsplatz und den vielen fahrradfahrenden Mitarbeitern profitiert: 82 Tonnen CO2 im Jahr verbraucht acme im Jahr. Bei der Prüfung der Bauvorhaben sah es anders aus. 55.306 Tonnen CO2 hat acme 2020 bei seinen Bauvorhaben verursacht. Bei näherer Betrachtung der Größe und des Materials wird klar, dass ihre neun Holzbauten mit 14.510 Tonnen CO2-Ausstoß zwar umweltschonender sind, doch ihre fünf Re-use Projekte mit nur 100 Tonnen CO2 Verbrauch die Spitzenreiter sind. Das nächste große Ziel von acme: zero Carbon buildings. Ob in London oder Berlin – das Büro versprüht den Charme einer Zauberschule, vielversprechend, denn Zaubern ist CO2-neutral.

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