PROJEKTREPORTAGE

SAB Bank, Leipzig

acme, London

Foto: Michael Moser

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Die starken Säulen vor Leipzig Nord

  • Text: Hanna Sturm
  • Fotos: Michael Moser

Es gibt Stadtviertel, die von der Geschichte bereits viele Male überzeichnet wurden, ohne dass sich dabei je eine einzelne Identität einschreibt. Ein solches Konglomerat aus Architekturen und Infrastrukturen liegt im Leipziger Norden zwischen dem Hauptbahnhof und dem Zoo.

Von der Rückseite ist der Durchgang zwischen den zwei Gebäudeschenkeln erkennbar. So erschließt sich eine neue öffentliche Durchwegung vom Leipziger Zoo zum Hauptbahnhof.

Im Süden durch den achtspurigen Tröndlinring von der Innenstadt abgeschnitten, befinden sich dort gewaltige Plattenbauriegel, eine Blockrand-Collage der uninspiriertesten Stadt-und Bürohäuser der letzten drei Jahrzehnte und ein bis zur Unkenntlichkeit kanalisierter Arm des Flüsschens Parthe. Dazwischen historische Bauten, wie das brachliegende Hotel Astoria und die fischhauthaft schillernde DDR-Hochhausscheibe des heutigen Westin-Hotels. In dieser konfusen Nachbarschaft erwarb die Sächsische Aufbaubank 2012 ein Grundstück samt Verwaltungs- und Schulungszentrum vom volkseigenen Kombinat Robotron. Der 1969/70 von den Leipziger Architekten Rudolf Skoda und Ulrich Quester erbaute Komplex war in seiner Rationalität geradezu ein Inbegriff der DDR Nachkriegsmoderne. Dass mit der hermetischen Strenge dieses Bauwerks unbedingt gebrochen werden sollte, zeigt nun das im August letzten Jahres fertiggestellte Bankgebäude mit Säulenwald des Architekturbüros acme.

Wann ist ein Wald noch ein Wald?

Seinen Anfang nahm das Gebäude vor knapp zehn Jahren mit einem von der Bauherrin, der Sächsischen Aufbaubank, ausgelobten Realisierungswettbewerb (Bauwelt 45.2013). Auf den Renderings des Siegerentwurfs verbinden sich beinahe schwebend die geschwungenen Balkone des Bankgebäudes mit einem Wald aus weißen Stützen. In Richtung Innenstadt lichtet sich der Säulenwald zu einem öffentlichen Platz vor dem Gebäude, der mehr als die Hälfte des Grundstücks einnimmt, oder besser, frei lässt. Obwohl der Wald während des Bauprozesses immer weiter ausdünnte und von den geplanten vierhundert Säulen letztlich nur 159 umgesetzt wurden, gleicht der Ausdruck des Gebäudes der ersten Visualisierung. Vogt Landschaftsarchitekten und acme waren im Entwurfsprozess der Außenanlage von einem Bürgergarten inspiriert, den der Kaufmann Eberhard Löhr in den 1770er Jahren gestalten ließ und seinerzeit als einer der ersten öffentlichen Parks Deutschlands zugänglich machte. Dieses Areal, das das Grundstück der SAB berührt, finanzierte – welch schöne Analogie – schon damals ein Bankhaus, Löhrs „Wechselcomptoir“. Frei angeordnete Baumgruppen, ein Schneckenberg, ein Wasserspiegel sowie Pflanzeninseln deuten den verschwundenen Garten an. Bemerkenswerter als diese Neuinterpretation ist jedoch, dass an diesem Platz bereits zum zweiten Mal ein Ort entsteht, der nicht nur dem Nutzer selbst, sondern zugleich der Stadtbevölkerung Gewinn bringt.

Nähert man sich dem Gebäude von der Innenstadt aus, sind zunächst die zweiundzwanzig Meter hohen Schleuderbetonstützen zu sehen, deren Enden sich als kreisrunde Scheiben zu einer perforierten Überdachung fügen. Es fällt schwer den ungewohnten Stadtraum beim Vorbeilaufen zu übersehen, nicht zuletzt, weil der schwellenlose Übergang zwischen Gehweg und Grundstück zum Erkunden einlädt. Auch wenn der Säulenwald streng genommen eher ein Säulenhain ist und damit die erhoffte Absicht, den Straßenlärm abzuwehren, nicht erfüllt, so schafft er doch eine waldverwandte Unbestimmtheit zwischen Innen- und Außenraum. Beim Betreten des Bankgebäudes taucht man in eine eigene Welt ein, die sich wie ein Filter vor die heterogene Umgebung legt. Die einheitliche hellbeige Farbigkeit von Betonboden, Stützen und Dachscheiben unterstützt die eigentümliche Autonomie dieses hellen Ortes. Wenn die Nachmittagssonne lange, schräge Schatten auf die Freifläche wirft, erinnert das Licht eher an einen Platz in Lissabon als in Leipzig. Gefasst von dem L-förmigen Gebäudekörper bildet ein Durchgang im Erdgeschoss eine Verbindung zum Vorplatz des Westin-Hotels, wodurch das Grundstück diagonal passierbar ist und sich so eine Abkürzung in Richtung des Leipziger Zoos ergibt.

Die Kantine ist bisher nur den Angestellten vorenthalten. Der Stadtraum setzt sich in Form von Stützen im Innenraum fort.

Eine Positionierung ist erforderlich

Alle architektonischen Stützenwaldvergleiche, von der Hauptverwaltung von Johnson Wax (Frank Lloyd Wright 1936-1939) bis zur 2013 fertiggestellten Bibliothek auf dem Campus der National-Universität in Taiwan von Toyo Ito, wurden bereits gezogen. Aber unabhängig davon, was man von der zeichenhaften Formensprache halten mag, kann das Grundstück der Aufbaubank nicht beiläufig oder gedankenlos betreten werden. Es ist eine Architektur, zu der man sich verhalten muss. Eine Positionierung ist explizit im Innenraum erwünscht. Die Grundrisse der Obergeschosse erinnern an Entdeckungen im Biologieunterricht durch das Mikroskop. Die Arbeitsflächen bilden das Cytoplasma. Eine transparente Zelle umhüllt offene Arbeitsbereiche, in denen Treppen, Küchen und Sanitärräume als feste Bestandteile schwimmen. Die Angestellten sind aufgefordert, ihre Arbeitsumgebung entsprechend der anstehenden Aufgaben auszuwählen. So hektisch diese stetige Neuorientierung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zunächst klingt, so gegensätzlich ist der Raumeindruck. In Schurwollstoff eingeschlagene Funktionskerne, weiche Teppichböden und natürliches Licht, das durch die geschwungene Fassade fällt, ergeben einen fließenden Großraum von außergewöhnlicher Ruhe.

Dieser sandfarbene Gesamteindruck wird maßgeblich von den Deutschen Werkstätten Hellerau mitbestimmt, die für die Einbauten verantwortlich waren. Auch in den Treppenhäusern setzt sich die beige Farbigkeit fort. Damit die Brüstungen der konisch geformten Treppen nahtlos in den Boden übergehen, wurden ihre Schalungen in einem 3D-Druckverfahren hergestellt. Eine Etage tiefer, im sechs Meter hohen Erdgeschoss, werden die weichen Oberflächen von gläsernen Beratungskapseln sowie Eichenholzlamellen an den Wänden abgelöst. An den Sichtbetondecken sind die Einlassungen für ehemals raumhoch geplante, Besprechungsräume zu sehen, Spuren des Ringens einer architektonischen Idee mit der ökonomischen Machbarkeit und dem fehlenden Willen der Bauherrin? Aber ähnlich wie im Falle des gelichteten Stützenwaldes, wirkt sich auch dieser Kompromiss nicht zulasten des Raumes aus. Die bodentiefe Glasfassade trennt den hellen Terrazzo des Innenraums kaum vom gleichfarbigen Betonboden des Platzes und stellt so einen engen Bezug zum umgebenden Stadtraum her. Damit der öffentliche „Bürgergarten“ nicht eine Inspiration und das „Forum“ nicht eine Behauptung bleibt.

Die renommierten Deutschen Werkstätten Hellerau setzten hochwertige Materialien bei der Ausstattung sämtlicher Innenräume ein.

Vieles an diesem Projekt ist zu loben. Die Achtung des öffentlichen Raums als hohes Gut, die Einbeziehung von regionalem Handwerk, die Förderung und Aushandlung einer anspruchsvollen Architektur, ungeachtet des damit verbundenen Kraftaufwands. Gerade mit diesen vielversprechenden Ansätzen im Rücken, sollte die Bauherrin beim Wort genommen werden, die den Platz vor dem Bankgebäude als „Forum“ bezeichnet. „Forum“ reiht sich gemeinsam mit „Campus“ und „Plaza“ ein in eine Rhetorik, die derzeit gerne im Zusammenhang mit Architekturwettbewerben) verwendet wird. Die Wörter implizieren einen städtischen Treffpunkt, einen Ort der Bildung und Kommunikation, ohne dabei konkret zu werden. Dabei braucht es so dringend konkrete Beispiele für belebte öffentliche Räume. Was also müsste auf diesem Platz geschehen, damit tatsächlich ein Forum im Sinne eines lebendigen Zentrums des Viertels entsteht? Die bisher ausbleibende Öffnung der Mitarbeiterkantine als Cafeteria mit Außensitzbereich ist der erste Schritt.

Weiteres Potential hat ein zum Vorplatz ausgerichteter, unabhängig vom Rest des Gebäudes nutzbarer Saal mit 212 steil gestaffelten Sitzplätzen, der sich für Vorträge, Filmvorführungen oder Lesungen eignet. Außerdem entstehen durch die Wölbungen der Glasfassade im Erdgeschoss, luftige, eng mit dem Stadtraum verbundene Räume, die für kleinere Veranstaltungen und Workshops nutzbar wären. Warum also nicht, im Sinne des Forums, offensiv Kultur, politische Auseinandersetzung und Bildung fördern? Es wäre auch eine Chance, von unerwarteter Seite die Stadtkultur zu fördern und die Möglichkeit, ein von der Innenstadt abgeschnittenes Viertel über die anzutreffenden Zoobesucher hinaus zu beleben. Der Raum dafür ist gegeben, nun liegt es an der Bauherrin, ihn mit Inhalten für die Stadtgesellschaft zu füllen, wenn der Ort wieder zu einem Bürgergarten werden soll.

Produktinformation
Die minimalistisch designte Kopfbrause Sena 75 ist perfekt für den Einsatz im öffentlich-gewerblichen Bereich und lässt sich dank des SpeedClean Antikalk-Systems besonders leicht reinigen. Foto: Werner Huthmacher.

Architekten

acme London

acme.ac

76 Tabernacle Street, London EC2A 4EA, United Kingdom

acme ist ein international tätiges Architekturbüro mit Sitz in London und Berlin. 2007 gegründet, arbeitet das Büro aktuell an Projekten in Europa, dem Nahen Osten und Asien. Ihre Leistungen reichen von Architektur und Stadtplanung bis hin zu Innenarchitektur und Produktdesign für private, gewerbliche und öffentliche Auftraggeber. Für acme existiert Architektur nicht für sich allein. Infrastrukturen, Umgebungen und Licht sind integraler Bestandteil ihrer architektonischen Praxis.

Projekte (Auswahl)

2022 Swansea Arena, Swansea

2021 Canopy Hotel, London

2021 Stratford Pavillon, London

2021 Rewe Green Farming, Wiesbaden

2021 Sächsische Aufbaubank, Leipzig

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